„Die Idee kam in der Corona-Zeit“, erinnert sich Finn Ole Peters, als er über die Anfänge dessen nachdenkt, was ihm den fresh travel Award 2024 eingebracht hat. „So viele ältere Menschen – meine eigene Oma eingeschlossen – wollten gern reisen und konnten es nicht. Die einen, weil sie tatsächlich nicht in der Lage waren, die anderen, weil sie es nicht wagten. Vielleicht ist meine Technik-Affinität ein bisschen mit mir durchgegangen, was aber dabei herausgekommen ist, erscheint mir – und offenbar auch anderen – wegweisend, vor allem vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die aus meiner Sicht absolut ein Zukunftsthema ist.“ Finn Ole Peters ersann eine Reise, an der man teilnehmen kann, ohne mitzufahren: via VR-Brille. „Im Moment hat noch nicht jeder eine solche zu Hause, in den kommenden Jahren sollte sich das aber ändern“, meint der 31-Jährige. Betriebswirtschaft und Informatik hat er studiert, in der Bus- und Touristik-Branche ist er seit seinem 16. Lebensjahr. „Ich bin Teil der Familie Peters, die in vierter Generation das Unternehmen ‚Peters Reisen‘ führt“, erzählt er. Sein Onkel leitet den Betrieb. Seit 2019 übernimmt auch Finn Ole Peters mehr und mehr Verantwortung. Nach Studium und Praktika u.a. bei einem Busunternehmen in Montreal in Kanada und Daimler Buses / Evobus wandte er sich speziell dem Bereich Online-Marketing und Digitalisierung bei Peters Reisen zu. Ein Werdegang, der wahrscheinlich unvermeidbar zum Thema „Virtuelle Reisen“ führen musste.


„Es dauert ungefähr anderthalb Jahre, eine virtuelle Reise zu realisieren“, sagt Finn Ole Peters. „Wir arbeiten dabei mit einem kleinen Team, dem auch der Fahrer und der Reiseleiter angehören, die die jeweilige reale Reise begleiten.“ Die beiden lassen eine 360-Grad-Kamera laufen, während sie mit einer Gruppe unterwegs sind – auf der Fahrt, an Destinationen, bei Führungen etc. Die Aufnahmen werden nach der Rückkehr aufbereitet, geschnitten, mit  weiterführenden Informationen hinterlegt und dann in eine VR-Brille eingespielt. Pro Reisetag ist das Material auf ca. eine Stunde komprimiert, eine fünftägige Reise wird also auf fünf separate Folgen verteilt. „Als wir unser erstes Werk meiner Oma vorgestellt haben, fing sie an zu weinen“, bemerkt Finn Ole Peters. „Sie war so berührt, dass sie ausrief ‚ich fahre ja wirklich mit!‘. Da stand für uns fest, dass wir das Projekt auf professionelle Beine stellen wollen.“
Ein Start-up war schnell gegründet. Auf einer virtuellen Peters-Reise sitzt der Reisegast virtuell auf dem Reiseleiterplatz ganz vorn, neben dem Busfahrer.

 

„Pole-Position“ für virtuell Reisende


„Auf der Pole-Position“, wie es Finn Ole Peters ausdrückt. „Wenn der Fahrer spricht – zum Beispiel sagt ‚rechts sehen Sie den Eiffelturm‘ – kann der virtuelle Reisegast den Kopf wenden und aus dem Bus heraus auf den Eiffelturm schauen. An weiterführende Informationen – in unserem Beispiel eben zum Eiffelturm – kommt er durch ein einfaches Wischen mit der Hand ‚im Raum‘. Er kann den Eiffelturm also ‚anklicken‘ – und dann werden ihm weitere Informationen eingespielt.“ Und noch etwas funktioniert virtuell (fast) so gut wie in der Realität: das Reisen mit anderen gemeinsam. „Wir filmen nicht nur die Destinationen ab, sondern immer auch die Gruppe, die die abgefilmte Reise tatsächlich unternimmt“, so Finn Ole Peters. „Diese ‚Mitreisenden‘ sind nachher ‚in der VR-Brille‘ ebenfalls zu sehen, werden wiedererkannt und tragen dazu bei, das Reiseerlebnis wirklich real wirken zu lassen.“


Insgesamt kann diese Art des Reisens sogar gesundheitsfördernde Effekte entfalten, insbesondere bei Senioren, die nicht selten schwieriger zu mobilisieren sind als jüngere Menschen, die altersbedingt einfach fitter sind, so Finn Ole Peters. „Auf einer virtuellen Reise werden die Teilnehmer nicht nur ‚berieselt‘ wie beim TV. Virtuelles Reisen erfordert ein Mindestmaß aktiver Anteilnahme – man muss sich bewegen, wach sein, mitdenken, ‚anklicken‘ … . Das erscheint wenig, ist für bestimmte Zielgruppen aber oft genau das, was diesen Zielgruppen guttut und auch in therapeutische Ansätze, etwa zur Aktivierung der Motorik, eingebunden werden kann.“ Hinzu kommt eine Erkenntnis aus der Neurobiologie, die besagt, dass das Gehirn bei der Verarbeitung von Sinnesreizen nicht unterscheidet, ob die Sinnesreize real erlebt werden oder lediglich virtueller Natur sind. Dem Gehirn ist es gleichgültig, ob ein Reisegast „in die Welt“ schaut oder „in die Welt in einer VR-Brille“. „Es gibt bereits jede Menge Forschung zum Thema“, sagt Finn Ole Peters. „Wir bei Peters Reisen arbeiten diesbezüglich mit der Uni Lübeck und mehreren Seniorenheimen zusammen.“ Die erste Bachelor-Arbeit an der Uni Lübeck beschäftigt sich bereits mit der Thematik. „Organisatorisch läuft es so, dass die Heime bei uns eine bestimmte Anzahl VR-Brillen mieten und fertige Reisen bestellen“, sagt Finn Ole Peters.


„Einen Webshop bauen wir gerade auf. Zum Einstieg ist immer jemand von unserem Team vor Ort und führt in den Gebrauch der VR-Brillen ein.“ Wie sich das Projekt weiterentwickeln könnte, hat Finn Ole Peters auch schon vor Augen. „Denkbar ist ein Abonnement-System ebenso wie eine Öffnung des Angebots für Private und Reiseunternehmen“, überlegt er. „Bei der Herstellung neuer Reisen könnten andere Unternehmen beteiligt werden, die Filmmaterial liefern.“ Die gemeinsame Mission aller ist bei Peters Reisen klar: Reisen als Grundbedürfnis anerkennen und jedem Menschen die Möglichkeit bieten, sich dieses Bedürfnis zu erfüllen – ob real oder virtuell ist da am Ende nur noch eine Frage der Vorliebe. 

 

Judith Böhnke