Zu den rund 1,5 Milliarden Euro vom Bund, die allgemein für die Finanzierung der Ticket-Wohltat ohne festen Namen anberaumt werden, addiert der VDV flugs 1,1 Milliarden für „Vertrieb/Umstellung/Anlaufverluste“ hinzu, garniert durch 1,65 Milliarden für die steigenden Energiekosten und dann noch die im Koalitionsvertrag versprochenen 1,5 Milliarden an zusätzlichen Regionalisierungsmitteln ab 2022 jährlich – summa summarum sechs Milliarden Euro. Das hört sich doch nach einem veritablen Geldregen an. Und was ist mit möglichen Einsparungen durch das vereinfachte Ticket, das viele Vertriebskosten obsolet machen dürfte?
Einsparungen durch das neue Ticket sieht der VDV nicht.

 

Das kann Wolff so nicht bestätigen. Schließlich bleibe ja eigentlich alles beim Alten, es käme eben nur ein neues Ticket und ein neues Geltungsgebiet (ganz Deutschland) hinzu. Da wäre kaum was zu sparen, vielleicht ein wenig an den Papierkosten für das weitgehend digital geplante „Wieviel-auch-immer-Ticket“. Ganz nebenbei sieht Wolff die eigenwirtschaftlichen Verkehre nicht mehr praktikabel, vielmehr sei das neue Ticket ein „Paradigmenwechsel hin zur Gemeinwirtschaftlichkeit“. Man müsste durchaus aufpassen, dass niemand wirtschaftlich „hintenrunter falle“– vor allem Private. Auf Flixbus angesprochen – wohlgemerkt ein neues VDV-Mitglied – kann sich Wolff nicht konkret äußern, inwieweit es hier schon irgendeine gesetzliche Grundlage gebe, um das private Unternehmen an den Ticket-einnahmen zu beteiligen. Vorsorglich fügt er hinzu, in den 1,5 Milliarden vom Bund sei hier sicher kein Anteil vorgesehen, das müsse dann wohl „on Top“ kommen. Dass es für den grünen Münchener Monopolisten mittlerweile durchaus ums Überleben geht, zeigt sich in der deutlichen Warnung von Gründer und CEO André Schwämmlein, der über die Presse verlauten ließ: „Wir müssten dann auf einigen Strecken in Deutschland unser Angebot deutlich einschränken, voraussichtlich bereits ab Januar“. Man könne den Betrieb nicht überall aufrechterhalten, „wenn die subventionierte Konkurrenz quasi umsonst fährt.“ Es geht also um viel Geld. Woher nehmen? Der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) hatte diese Frage an die Beratungsfirma mobilité adressiert und das Konzept „Nutznießerfinanzierung“ als dritte Säule der Finanzierung mit auf den Weg des „thinktankings“ gegeben. Ergebnis: mit einer City Maut, einem ÖPNV-Grundbetrag für alle Bürger, einem Bürgerticket für 30 Euro oder auch der Anhebung der Grundsteuer könnten insgesamt genau 500 Mio. Euro erlöst, oder besser „erraubrittert“
werden. So kann wahrlich nur rechnen, wer völlig die Sicht auf die Realität, zumal die der Privatwirtschaft, verloren hat.

 

„Paradigmenwechsel hin zur Gemeinwirtschaftlichkeit“ Hier scheint es aber durchaus Lichtblicke im Milliarden- Euro-Chor des ÖPNV-Verbunds zu geben – solche die durchaus einsehen, dass es Not täte, im Verbund- und Verbändedschungel etwas zu entschlacken. Die Geschäftsführerin des Hamburger Verkehrsverbunds VHH, Anna-Theresa Korbutt zum Beispiel sieht ihre Branche laut einem Artikel, der in der Wirtschaftswoche erschien, gelähmt. Beim 9-Euro-Ticket seien nicht die Kosten entscheidend, sondern die Auswirkungen: „Jeder verwaltet aktuell seinen eigenen Tarif, eigenen Vertrieb und eigene Streckenplanung“, sagt Korbutt. „Diese Vielstaaterei können wir mithilfe eines einheitlichen Tickets komplett abschaffen.“ Ohne individuelle Tarifsysteme brauche es weniger Personal, weniger Verkaufsautomaten, weniger Apps, weniger Planung, kurzum: weniger Kosten. „Das Ziel muss sein, Jobs wie meinen abzuschaffen“, lässt sich Korbutt freimütig zitieren.
Ihr Sprecher verweist darauf, dass „das Ziel nicht primär die „Abschaffung von Jobs“ sei, sondern vielmehr die Vereinfachung der Tarifsysteme im Interesse der Kunden.“ Und weiter: „Die plakative und auf die eigene Person gemünzte Äußerung zum Abschluss ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen.“ Durchaus mehr als ein Augenzwinkern entlockt uns aber die neueste Tätigkeit der weitsichtigen Kollegin Korbutt: Aufsichtsrätin bei der Westbahn – einem österreichischen, privaten Bahnunternehmen.