Vier von zehn Bus- und Straßenbahnfahrern in Deutschland sind älter als 55 Jahre. Sie werden zeitnah in die Rente eintreten und dem Arbeitskräftemarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. „In keinem anderen Berufsfeld ist der Anteil der Beschäftigten, die kurz vor dem Ruhestand stehen, so groß“, sagte der Autor der Studie Jurek Tiedemann.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die Berufsgruppe der Bus- und Straßenbahnfahrer den im Verhältnis stärksten Anstieg beim Fachkräftemangel. Auch das offenbart die Studie deutlich. 3.594 Stellen konnten nicht mit passend qualifizierten Kandidaten besetzt werden, ein Wert, der den des Vorjahres um 89 Prozent übertraf. Den erhöhten Personalbedarf verursacht in erster Linie die sogenannte Mobilitätswende, meint Tiedemann. Hinzu kommt, dass in den kommenden Jahren gerade die Fahrer aus dem Beruf ausscheiden werden, die in besonders geburtenstarken Jahrgängen geboren wurden. Das betrifft jeden vierten im Fahrdienst Beschäftigten in Deutschland.

Deutschlandweit gibt es aktuell rund 137.314 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die als Bus- und Straßenbahnfahrer arbeiten. „Das Problem ist: Es rücken deutlich weniger junge Beschäftigte nach, als ältere in Rente gehen“, so Tiedemann. Insgesamt scheiden 4,5 Millionen Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung aus. Der Berufsbereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit hat daran einen Anteil von 29,1 Prozent. Rang zwei fällt dem Bereich Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung zu: Hier gehen mehr als 1,3 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte in Rente.

 

Mobilitätswende rückwärts

In Umfragen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) habe zuletzt jedes zweite Unternehmen angegeben, „aus personellen Gründen den Fahrplan zumindest zeitweilig eingeschränkt zu haben“, so der Vorsitzende des Verbandsausschusses für Personalwesen, Harald Kraus, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Prominentestes Beispiel seien die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die schon seit rund zwei Jahren das Angebot an Linienbussen einschränken müssen. Derzeit kämpften Verkehrsbetriebe im gesamten Bundesgebiet um die Aufrechterhaltung des Status quo beim Fahrplan, verrät Kraus.

Die von Experten empfohlenen Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel dürften bei den Fahrberufen kaum greifen können: Arbeitgeber sollen ältere Menschen bei Stellenausschreibungen gezielter ansprechen, mit einer altersgerechten Arbeitsgestaltung Anreize setzen, einen „ergonomischen Arbeitsplatz“, „Angebote im Gesundheitsmanagement“ und „flexible Arbeitszeiten“ sowie „Homeoffice-Möglichkeiten“ schaffen. Die Verkehrsunternehmen zögen bei der Personalsuche aber schon „alle Register“, wie VDV-Fachmann Kraus betont: Quereinsteigern, Geflüchteten und dem Nachwuchs wird ein leichterer Einstieg ermöglicht, die Branche versucht, mehr Frauen zu gewinnen und schon bei der jüngeren Generation auf die „Vorzüge in Bezug auf Sicherheit und Klimaschutz hinzuweisen“. Die Verkehrswende fordert aber locker 100 Mal mehr neue Beschäftigte, als im Augenblick – und Ausblick – gefunden werden können.

Laut einer Umfrage des VDV müssten aktuell bis zu 8.000 Fahrer eingestellt werden, um das altersbedingte Ausscheiden von Mitarbeitenden zu kompensieren und den Status quo aufrechtzuerhalten. Damit die Verkehrswende nicht in die entgegengesetzte Richtung kippt, müssten bundesweit bis 2030 weitere 110.000 Beschäftigte eingestellt werden.

Die Strategie der Bundesregierung beschränkt sich darauf, die Regelungen zu lockern, die Nicht-EU-Bürgern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen. So trat Anfang März 2024 das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung in Kraft. Menschen aus Drittstaaten können künftig in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss haben. Sie müssen keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen.

In immer mehr Bundesländern werden zudem derzeit neue Tarifverträge mit augenscheinlich besseren Arbeitsbedingungen abgeschlossen. Unternehmen und Gewerkschaften hofften gleichermaßen, „dass damit wieder mehr Menschen für die Arbeit im ÖPNV gewonnen werden können“.